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Vom Suchen der Linie und Finden der Form

Zeichnungen, Collagen und Gemälde von Hansjörg Krehl

Wie viel sagt der Titel einer Ausstellung aus?
Sehr viel. Aber bleiben wir bei den Fakten.

Es handelt sich um eine Ausstellung informeller Bilder, dabei hauptsächlich Zeichnungen. Keine der gezeigten Arbeiten ist betitelt. Die eingangs gestellte Frage taucht wieder auf, allerdings ein wenig modifiziert: Wie viel kann der Titel einer Ausstellung aussagen, wenn die gezeigten Arbeiten alle ohne Titel sind, also keine weitere Information von sich preis geben?

Gönnen wir uns die Zeit, bei der phänomenologischen Betrachtung der Exponate zu verweilen, bevor wir uns der semantischen Komponente der Ausstellung, ihrem Titel widmen.
Die meisten der gezeigten Bilder sind klein und fragil, es sind Papierarbeiten, meist nicht größer als DIN A4. Auf den ersten Blick mögen sie unspektakulär erscheinen, da sie fast nichts enthalten außer kleinen Zeichnungen. Die Zeichnungen bestehen aus wenigen Linien und formen sich zu „Objekten“, die nicht gegenständlich sind, aber zentral und mittig auf dem Papier inszeniert sind. Diese Zeichnungen sind in ihren Dimensionen so begrenzt, dass sowohl der Spur des Stiftes, als auch dem Papier selbst, dem Bildträger, Geltung zukommt. Manche Blätter sind sparsam farblich ergänzt, was formbildend wirkt und den Bildern Tiefe verleiht.

Der spontane Gestus, mit dem diese Zeichnungen auf das Papier gesetzt sind, gehört Hansjörg Krehl. Er hat mit den Exponaten dieser Ausstellung Bilder geschaffen, die um die elementaren Bestandteile der Zeichnung kreisen: um die Linie, das Papier und die Farbe. Wie Improvisationen zum gleichen Thema lassen sich die Zeichnungen lesen, die in den ausgestellten Serien der Collagen, Papierarbeiten und Gemälde jeweils als Motiv auftreten.

Die Collagen Krehls sind Miniaturen, die aus gefundenen Papierne bestehen, die gerissen und geglättet, aufgeklebt und bearbeitet sind. Aufgedruckte Linien, scharfe geglättete Knicke, ausfransende Kanten, rückseitige Beschriftungen, unterschiedliche Papiertöne vom harten Weiß bis hin zum Zartrosa werden von Krehl bewusst inszeniert. Sie sind gleichermaßen Anlass, Bühne und Rahmen für spontane Zeichnungen, bei denen nicht mehr eindeutig zu erkennen ist, ob die Form des Papiers, der spontane zeichnerische Gestus oder eine, von Anfang an bestehende, Bildidee formgebend waren. So wird z. B. die Risskante eines Papiers zur Kontur einer Form, die so etwas wie den Umriss einer Amphore andeutet.

Erstaunlich, überraschend und virtuos präsentieren sich diese kleinen Exkurse in das Reich der Improvisation. Anhand der Collagen möchte ich zeigen, wie gut der Titel die Bilder der Ausstellung illustriert.

„Vom Suchen der Linie und Finden der Form“ handelt diese Ausstellung. Dieser sehr anschauliche und treffende Titel hält, was er verspricht und macht darüber hinaus plausibel, weshalb es müßig wäre, die Bilder selbst zu betiteln: Sie sind nur die Einzelteile eines Ganzen, das sich vielleicht als Ausdruck des Suchens beschreiben lässt, des Suchens nach dem idealen freien und spontanen Ausdruck. Als solches sind die Zeichnungen Hansjörg Krehls unmittelbare und sehr persönliche Einblicke in die Arbeitsweise des Künstlers.

Drei Aspekte des Ausstellungstitels können diese Arbeitsweise näher verdeutlichen. Hansjörg Krehl benutzt das Begriffspaar „Linie“ und „Form“, um auf die Konstituenten der Zeichnung an sich aufmerksam zu machen. In der zeichnerischen Praxis bedingen sich diese beiden unmittelbar: Die Linie ist das Element der Zeichnung, und die Form ist es, die sich aus dem Strich ergibt.

Das „Suchen“ und das „Finden“ als Beginn und Endpunkt der Arbeit bezeichnen den Prozess des Zeichnens selbst. Die Arbeitsweise Krehls ist motiviert von der Suche nach der „idealen Linie“ (Krehl) und letztlich nach der Idealform (was aber nicht wörtlich zu verstehen ist, sondern viel mehr als der allgemein richtige, passende, schlüssige Bildaufbau. „Suchen“ und „Finden“ sind für Krehl intuitive Vorgänge, die um die eigene malerische Gestik kreisen und kein planmäßig aufgebautes Bild hervor bringen sollen, sondern in ein spontanes, unkalkulierbares und überraschendes Ergebnis münden.

„Vom…“ Suchen der Linie und Finden der Form hat etwas Erzählerisches. Und tatsächlich haben alle gezeigten Bilder in der Zusammenschau etwas Anekdotisches und dokumentieren die Arbeit des Künstlers mit Stift und Pinsel anschaulich.

Der unverstellte, spontane Ausdruck der Zeichnung ist die Konstante in Hansjörg Krehls Bildern. Dieser Ausdruck ist als etwas sehr Persönliches zu verstehen, als ein Ringen um die Form, vor dem Hintergrund der eigenen Fehlbarkeit, denn den Fehlversuch und den „großen Wurf“ trennt bei dieser Arbeitsweise nur ein schmaler Grat.

Die Ausstellung „Vom Suchen der Linie und Finden der Form“ erzählt von einer großen Leidenschaft: Von der Leidenschaft Hansjörg Krehls für die freie, nicht gegenstandsgebundene Zeichnung, die dann gelungen ist, wenn sie dem kritischen Urteil des Künstlers genügt.

Nina Schulze MA