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Eröffnungsrede zur Ausstellung „Hansjörg Krehl – von der Linie“

Meine Damen und Herren,
liebe Freunde

Da sind sie also wieder, die Arbeiten von Hansjörg Krehl. Warum „wieder“, werden Sie jetzt vielleicht denken, waren sie denn weg? Ja, sie waren weg, entweder in anderen Ausstellungen, beispielsweise 2008 im Museum Katharinenhof in Kranenburg, oder im Atelier – oder sie waren noch gar nicht da und sind, wie bsp. die drei Arbeiten hier im Erdgeschoss, erst für diese Präsentation entstanden. Und „wieder“, weil ich nun das Vergnügen habe, zum 3-ten mal über die Arbeiten von Hansjörg Krehl zu sprechen. Das ist in der Tat ein Vergnügen einerseits, da mich das Werk des Künstlers nun seit einigen Jahren wirklich begeistert, und zugleich ist es nicht so einfach, immer wieder aufs Neue, die passenden Worte zu finden. Doch ich erinnerte mich an meine erste Begegnung mit dem Künstler im Vorfeld zur Ausstellung „Zeichnungen und Collagen“ hier in der GKK im Januar 2006, bei der mir schnell klar wurde, dass es Zeit braucht, um seine Arbeiten zu erfassen.

Denn das, was sich da damals als Malerei, Zeichnung und Collage anbot, war wesentlich vielfältiger, umfangreicher und dabei geheimnisvoller, als vielleicht auf den ersten Blick zu vermuten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Die hier gezeigten Werke laden uns nach wie vor ein, dem Form- und Farbempfinden Krehls zu folgen, seine Arbeiten allmählich zuerforschen, um dabei immer mehr von der Frage nach ihrer Entstehung gelenkt zu werden. So erging es mir bereits 2006, als ich wissen wollte, nach welchen Kriterien denn nun z.B. Farbe, Kohle, Papier und manches Füllmittel auf die Leinwand oder das Holz gekommen sind. Doch schnell zeigte sich, dass Krehl, ganz wie seine Arbeiten, mehr Information in seinem Inneren trägt, als er bereit war, zu vermitteln. Da stand ich nun und hörte mehrfach seine Worte im Hinblick auf die Zeichnungen: „Ich setze mich einfach hin und zeichne. Und dabei schalte ich das Gehirn ab.“ Oh, dachte ich, wie schade und v.a. wie unergiebig für deine Rede. Hier wirst du nicht viel in Erfahrung bringen können. Doch allmählich erkannte ich die Bedeutung seiner (wenigen) Worte, indem ich mir einfach die Mühe machte und seine Arbeiten für ihn sprechen ließ. Arbeiten, die sich durch ein spannungsvolles Gefüge aus Malerei und Zeichnung behaupten, und den Betrachter dabei auf eine Gratwanderung der Befindlichkeiten schicken. Handelt es sich um Gemälde mit Verbindungen aus gemalten Flächen, oder sind es letztlich Zeichnungen, in denen die Linie das Sagen hat? Nicht von ungefähr lauten die Titel von Krehls Ausstellungen ja auch „Zeichnungen und Collagen“, „kleine Gesten“, „Vom Suchen der Linie und Finden der Form“ oder, wie jetzt „Von der Linie“. Krehl selber sagt dazu, dass er hier keine Entscheidung treffen will, nicht, weil er unentschlossen ist, sondern weil der Reiz seiner Werke ja nun tatsächlich in dieser Offenheit liegt, von der ich früher bereits mehrfach berichtet habe.

Aber ich treffe eine Entscheidung! So soll heute unser Augenmerk auf der Linie liegen, die uns ja in jeder Arbeit von Hansjörg Krehl begegnet, zumal der Titel der Ausstellung explizit auf sie verweist. „Von der Linie“ ist dabei als übergreifende Bezeichnung zu betrachten, unter die Krehl alle in dieser Ausstellung zusammen gebrachten Werke subsummiert. Die Linie findet sich so in den drei neuen Gemälden aus Acrylfarben, die unsere Blick über ihre Oberflächen in die Tiefe lotsen. Denn unter der weißen Schicht schimmern immer wieder farbige Bereiche hindurch, Flecken in Gelb oder Rot, die nicht nur kompositorisches Gewicht haben. Sie lassen Rückschlüsse auf einen sehr farbigen Untergrund schließen, dem in einem weiteren Malakt seine Farbigkeit durch Übermalungen mit weißer Farbe genommen worden ist. Hinzu kommen vereinzelte Linien, mal in Schwarz, mal durch Einkerbungen kenntlich gemacht, die der überwiegenden Versammlung von Farben zu entgegnen scheinen. Sie wirken dabei sehr spontan, wie kurze gestische Peitschenhiebe, die auf der „malerischen“ Oberfläche ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben. Immer wieder finden sich in Krehls Gemälden solche linearen Spuren, die sich in ihrer Form wiederholen. Die oft zackig, spitz zulaufenden Konturen ähneln in ihrer Gesamterscheinung offenen Schalen, die mit den Elementen aus Farbe in einen Dialog zu treten scheinen. An anderer Stelle sind es vollständige Kreise, die den Arbeiten kompositorischen Halt geben. Spannend ist dabei zu erfahren, dass Krehl sämtliche Bildaufbauten nicht nach irgendwelchen Vorbildern entwickelt, sondern eigenen Bildideen im Kopf folgt, auch, wenn dies seiner Behauptung des „abgeschalteten Gehirns“ zu widersprechen scheint. Fakt ist, dass manches Gemälde auf diese Weise über viele Jahre entsteht, da sich der Künstler absichtlich Zeit für das Finden jener Ideen einräumt. Im Obergeschoss der GKK sind weitere Arbeiten dieser Art zu sehen, darunter ein altes Triptychon von 1997/98 aus Acrylfarben, Papier und Sandbeimischungen, in dem Krehl das Motiv der besagten Schalenform in der Vertikale, Diagonale und Horizontale den drei Grundfarben gelb, blau und rot zuordnet. Farbe hat hier eindeutig als Materie die Dominanz, der die Linie in ihrer Transzendenz verhalten antwortet. In Anbetracht dieses Kräftemessens stellt sich wiederum die von Krehl aufgeworfene Frage, wann die Linie aufhört Linie zu sein? Handelt es sich bei der Linie nicht nur um eine endlich kleine Fläche? Fragen, die ein weiteres Mal die Theorie des „abgeschalteten Gehirns“ widerlegen.

Die kleinen Collagen im Nebenraum wiederum sind Zeugen eines anderen Spiels zwischen Linie und Fläche, in denen der für das Werk so wesentliche Faktor Zeit nun auf eine andere Art abzulesen ist. Er spiegelt sich in den alten Papieren, die, wie Krehl so treffend formuliert, bereits ein „gelebtes Leben“ aufweisen. Die gelblichen Blätter sind nicht rahmender Bildträger für die Collageelemente und Zeichnungen aus Bleistift oder Tusche, sondern sie sind gleichwertiger, kompositorischer Bestandteil der jeweiligen Arbeit. Die „vergessenen Papiere“, wie sei Krehl auch bezeichnet, erleben unter den Gestaltfindenden Händen des Künstlers zu enormer Kraft, wovon auch die zahlreichen kleinformatigen Collagen im Obergeschoss zeugen. Jedes einzelne Papier hat seine eigene Geschichte, die Krehl nach seinem Konzept aus Fläche und Linie zu neuen Inhalten vereint. Dabei ist jede Linie, auch die vermeintlich vorhandener Knitterspuren manches Blattes, vom Künstler eigenhändig  nach kompositorischen Erwägungen angelegt. Vereinzelt tauchen regelrecht figürliche Formen auf, womit sich vielleicht ein neuer künstlerischer Weg ankündigt.

So erschließen sich die Arbeiten von Hansjörg Krehl nicht sofort. Jeder, der auf eindeutige Aussagen fixiert ist, muss lernen, sich zu gedulden. Denn das, was die Zeichnungen, Collagen und auch Gemälde letztlich vermitteln wollen, ist ein ganz abstraktes Thema, das „von der Linie“ handelt. Krehl meidet dabei bewusst edle Materialien, aus einer Scheu vor dem Erhabenen und Erhöhtem. Seine Zeichnungen und Collagen auf einfachsten Papieren schöpfen ihre Kraft nicht aus der Anmutung wertvoller Bildträger und Werkstoffe, sondern allein aus sich selbst heraus. Das alles erklärtermaßen trivial, aber, und das können Sie mir glauben, nicht weniger erklärtermaßen mit Konzept.

Dr. Christian Krausch